Urteilsrezension
zum Urteil des BGH – I ZR 186/09 – vom 19. Nov. 2009
Das Urteil des BGH ist eine der wichtigsten Entscheidungen der letzten Jahre. Denn mit diesem Beschluss verabschiedet sich der BGH von seiner umstrittenen Zulassungsnummer-Rechtspre- chung (Urteil des BGH vom 23. Juni 1994 – I ZR 73/92 – Zulassungsnummer I – NJW 1995, 137 ff.; Urteil des BGH vom 30. Nov. 1995 – I ZR 194/93 – Zulassungsnummer II – WRP 1996, 210 ff.;
, Urteil des BGH vom 14. Nov. 2002 – I ZR 134/00 – Zulassungsnummer III – WRP 2003, 268, 269), die seit Jahren in der Literatur heftig kritisiert wurde (Ouart, WRP 2005, 323 ff., Kamann, WRP 2004, 72 ff., Kaus, StoffR 2004, 136 ff.). Die bisherige Rechtsprechung galt als äußerst Import-freundlich. Mit ihr hat der BGH seinerzeit festgestellt,
- dass ein Pflanzenschutzmittel, das mit einem in Deutschland zugelassenen Mittel stofflich übereinstimmt und das vom gleichen Hersteller stammt wie das in Deutschland zugelasse- ne Mittel, aufgrund der Produktbezogenheit pflanzenschutzrechtlicher Zulassungen ohne erneute Zulassung in den Geltungsbereich des Pflanzenschutzgesetzes re-importiert wer- den darf (BGH, Urteil vom Juni 1994 – I ZR 73/92 – Zulassungsnummer I);
- dass der Importeur für ein Mittel, das in einem anderen EU-Mitgliedstaat über eine Zulas- sung verfügt und das nachgewiesenermaßen mit einem in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel stofflich übereinstimmt, ebenfalls keine erneute Zulassung in Deutsch- land beantragen muss (BGH, Urteil vom 30. Nov. 1995 – I ZR 194/93 – Zulassungsnummer II);
- dass die Darlegungs- und Beweislast für die stoffliche Übereinstimmung eines Importmit- tels, für das weder im Einfuhr-, noch im Ausfuhrstaat eine Zulassung besteht, beim Kläger liegt, d.h. bei dem jeweiligen Inhaber der Zulassung des in Deutschland zugelassenen Re- ferenzmittels und nicht beim Importeur, der sein Mittel unter ausdrücklichem Verweis auf die angebliche Stoffgleichheit mit dem zugelassenen Referenzmittel vertreibt (BGH, Urteil vom 14. Nov. 2002 – I ZR 134/00 – Zulassungsnummer III).
Einer der Hauptkritikpunkte insbesondere an dem Urteil Zulassungsnummer III war, dass diese Entscheidung gegen die bis 2009 maßgebliche EU-Richtlinie 91/414/EWG und die darauf auf- bauende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verstößt. Denn sie erlaubt keine dogmatische Abgrenzung zwischen EU-Parallelimporten im Sinne der Definition des BGH und unzulässigen Drittlandimporten. Problematisch war insbesondere die – allzu undeutliche – For- mulierung in der Urteilsbegründung, den Bestimmungen der Richtlinie 91/414/EWG lasse sich nicht das Erfordernis entnehmen, dass „der jeweilige Importeur eines Pflanzenschutzmittels aus
einem Mitgliedstaat, das mit dem im Inland zugelassenen Pflanzenschutzmittel identisch ist, ein gesondertes Zulassungsverfahren zu betreiben habe, weil das importierte Mittel nicht aus der- selben Produktionsstätte stamme und im Exportstaat nicht zugelassen sei“ (BGH, Urteil vom 14. Nov. 2002 – I ZR 134/00 – WRP 2003, 268, 269).
Außerdem bestand infolge der zahlreichen prozessualen Auseinandersetzungen, die seit Jahren zwischen der deutschen Pflanzenschutzmittelindustrie und Importeuren um die Zulässigkeit von Pflanzenschutzmitteleinfuhren geführt werden, eine uneinheitliche Rechtsprechung der Instanz- gerichte hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast, die nach bisheriger Auffassung des BGH beim Hersteller lag, wenn dieser einen wettbewerbsrechtlich unzulässigen Parallelimport bean- standete, weil das eingeführte Produkt mit dem in Deutschland zugelassenen Produkt stofflich nicht übereinstimmte (vgl. Beschluss des LG Nürnberg-Fürth – 1 HK O 7159/07 – vom 28. Mai 2009; Beschluss des LG Landshut – 2 HK O 2703/07 – vom 07. Aug. 2009; Urteil des LG Nürn- berg-Fürth – 3 HK O 1620/07 – vom 26. Aug. 2008; Urteil des LG Augsburg – 1 HK O 3479/07 – vom 15. Okt. 2007; Urteil des OLG Köln – 6 U 135/06 – vom 12. Okt. 2007; Urteil des LG Ra- vensburg – 8 O 193/02 KfH 2 – vom 18. März 2003; Beschluss des OLG Nürnberg – 3 U 1972/08
- vom 12. Mai 2009; Urteil des OLG Karlsruhe – 4 U 196/08 – vom 09. Juli 2009; Urteil des LG Ravensburg – 7 O 41/05 KfH 1 – vom 18. April 2006; Urteil des LG Ravensburg – 7 O 23/05 KfH 1 – vom 22. Juni 2005). All diese Fragen sind durch die jetzt ergangene Entscheidung des I. Zi- vilsenates beantwortet worden. Danach liegt die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtmä- ßigkeit eines eingeführten Produktes bei demjenigen, der sich auf die Rechtmäßigkeit beruft, also beim Importeur bzw. dem Vertreiber des Importmittels. Dieser trägt die rechtliche Verant- wortung dafür, dass das von ihm eingeführte oder vertriebene Produkt auch tatsächlich ver- kehrsfähig ist. Soweit er über eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung des BVL nach 16c PflSchG verfügt, trägt er auch die Verantwortung dafür, dass sein Produkt, d.h. jeder einzelne eingeführte Kanister, tatsächlich dem Inhalt der Verkehrsfähigkeitsbescheinigung entspricht.
Zugleich hat der BGH klargestellt, dass ein Zulassungsinhaber dem Importeur in einem Wettbe- werbsstreit die streng geheime Formulierung seines Produktes nicht zu offenbaren braucht und auch nicht verpflichtet ist, geheimhaltungsbedürftige Studien und Unterlagen, die er der Zulas- sungsbehörde in seinem Zulassungsverfahren zur Prüfung überlassen hat, einem Wettbewerber zu offenbaren. Da Importeure von den finanziellen und tatsächlichen Aufwendungen des Zulas- sungsinhabers profitieren, tragen sie auch das alleinige Risiko einer Verkehrsfähigkeit ihres Pro- duktes als Kehrseite dieses für sie kostenlosen Vorteils.
Durch die am 29. Juli 2009 in Kraft getretene gesetzliche Änderung des deutschen Pflanzen- schutzgesetzes sowie die nunmehr anstelle der Richtlinie 91/414/EWG geltende Verordnung Nr. 1107/2009 sind diese Fragen für die Zukunft zwar auch durch den Gesetzgeber klargestellt wor- den. Infolge der Vielzahl der bei deutschen Gerichten noch anhängigen Altverfahren (wobei sich
viele Auseinandersetzungen noch im Hauptsacheverfahren erster Instanz befinden) ist die prak- tische Bedeutung der Entscheidung des BGH jedoch ungeachtet der aktuellen gesetzlichen Ver- änderungen von hoher praktischer Relevanz. Denn die mit diesen Verfahren befassten Oberlan- desgerichte haben sich bislang überwiegend immer noch an der alten Zulassungsnummer-Ent- scheidungspraxis des BGH orientiert und entsprechend geurteilt. Diese Verfahren werden nun- mehr auf einer anderen rechtlichen Grundlage zu bewerten sein. Zugleich dürfen sich diejenigen Gerichte bestätigt fühlen, die dem BGH bereits bislang in diesen Punkten widersprochen haben.
Dr. Peter E. Ouart Rechtsanwalt Freiburg i.Br.